
Wenn ich in ein Buch springen könnte …
In den meisten Fällen richtet sich der Satz an die Leser und ginge wohl in etwa weiter mit „Welches wäre das?“ und „Was würdest du erleben?“ Hier muss ich zwischen mir als Schriftstellerin und als Leserin trennen.
Damit ein Buch gut wird, muss ich hineinspringen
Büchern merkt man es an, ob ihre Autoren nur von außen draufgeschaut und es beobachtend runtergeschrieben haben, oder ob sie selbst in diesem Buch leben. Ich spüre es schon beim Schreiben. Sicher, ich kann plotten und mich dann brav von Szene zu Szene hangeln, doch trotz der spannendsten Handlung bleibt die Geschichte lau.
Ich kann Figuren nach allen Regeln der Kunst am Reißbrett entwerfen, Charakterbögen ausfüllen und in der Theorie die komplexesten Figuren mit fantastischen Backstorys gestalten, und trotzdem springt der Funke nicht über und die Figuren erwachen nicht zum Leben. Das sind dann die Romane, wo man mit Infodump und Erklärungen um sich wirft, weil man aus dem Kopf schreibt, statt aus dem Gefühl. Doch wie willst du einer reinen Kopfgeburt glauben, geschweige denn, sie fühlen und mit ihr sympathisieren?
Ich lebe in jedem meiner Romane
Auf die Muse darf kein Profischriftsteller warten, denn die Muse spaziert nicht unbeschäftigt durch die Gegend, sondern will eingeladen werden. Mit dem Gefühl ist das etwas anderes. Gefühl kann man nicht herbeizitieren, sondern es kommt durchs Spielen, durch ständiges Eintauchen in die Geschichte. Ich liege abends im Bett und denke nicht an meine Helden, ich bin sie selbst.
Ich spiele Leidensszenen ebenso durch wie Glücksmomente, ich erlebe die Kämpfe und die Triumphe selbst. Beim Schreiben in meine Romane zu springen, ist genau der Grund, warum sie bei dir so ankommen, wie du es zu Recht erwartest: intensiv, dicht und authentisch. Deshalb kann ich dir auch kein einzelnes Buch nennen, in das ich springen möchte, weil ich nur die schreiben kann, in denen ich mit Leidenschaft lebe.
Und als Leserin?
Ich gehöre zu denjenigen, die mit Haut und Haaren in einer Geschichte versinken und selbst mitspielen wollen. Und zwar fühlend, nicht mit dem Verstand. Ich will selbst die Figur sein, die ich mir in einer Geschichte erwähle. Und da passiert es dann tatsächlich, dass ich gerne eingreifen möchte. In welche Bücher würde ich tatsächlich hineinspringen wollen?
Don Karlos würde ich gerne die Ohren langziehen
In mein Lieblingsdrama, „Don Karlos“, möchte ich tatsächlich hineinspringen. Nicht um den spanischen Renaissance-Hof zu erleben, sondern wutentbrannt, weil Don Karlos mir mit seinem Selbstmitleid dermaßen auf die Nerven geht, dass ich ihn ohrfeigen möchte. Da opfert sich Posa (mein absoluter Lieblingsheld in der Literatur) für ihn und die große Sache, und Karlos macht das alles zunichte. Wie ein quengelndes Kind hält er seinem Vater vor, dass Posa ihn ja mehr gemocht hat als den König, und natürlich geht dem König dann ein Licht auf, und die Intrige fliegt auf.
Ja, in dieses Drama würde ich gerne hineinspringen, um Posa zu retten, damit er die Befreiung der Niederlande selbst durchziehen kann. Wenn Figuren dermaßen dämlich agieren, kann ich ausrasten. Oder wenn sie nicht in die Gänge kommen. Wut über wehleidige, passive oder unlogische Jammerlappen wären ein guter Grund für mich, wie der Blitz in einer Geschichte aufzutauchen.
Auch das gewisse Etwas will ich auf der Haut spüren
Aber auch im Dunstkreis charismatischer Helden würde ich mich gerne aufhalten und mich aufgeregt in ihrer Aura bewegen. Ein langer Ritt an Winnetous Seite, eine mit Posa gesponnene Intrige. Inspector Lynley über die Schulter schauen. Nicht um den Fall zu lösen, sondern um ihn als Person zu begleiten.
Du merkst schon, bei mir läuft alles auf die Figuren hinaus. Fasziniert mich eine, bin ich sehr schnell in einem Roman. Ich hüpfe nicht, sondern ich tauche mit einem beherzten Sprung in die Tiefe und spiele begeistert in der anderen Welt.
Wie sieht es bei dir aus? Wann vergisst du dich selbst und tauchst tief in Romane ein? Bei welchen bist du gesprungen?
Mit dieser Erzählung tauchte ich in eine mir bisher fremde Welt