Kein Heldentum. Soldatenstiefel auf einem Totenkopf

Was Heldentum ganz sicher nicht ist

Heute kann ich nicht länger schweigen. Ich habe ein paar Tabuthemen für mich definiert, doch es gibt auch Zeitpunkte, wo man Tabus brechen muss. Ich wollte nie öffentlich über Religion oder Politik schreiben, aber das heißt nicht, dass ich zu dem schweigen werde, was gerade in Europa passiert.

Ich veröffentlichte meine neue Website und begleitete das auf Social Media mit meinem Signature-Bild samt meinem Claim. In love with heroes. Als ich jetzt gerade meine Instagram-Seite aufrief, wurde mir bewusst, wie sehr dieser Claim gerade in Zeiten wie diesen missverstanden werden kann. Allerhöchste Zeit also, das mit dem Heldentum klarzustellen.

Jede Medaille hat zwei Seiten

Natürlich beurteilen wir das, was sich gerade abspielt, aus westlicher Sicht. Und natürlich gibt es nicht nur diese eine Sicht. Natürlich haben andere Kulturen das Recht, sich gegen westliche Hegemonieansprüche zu wehren. Ich kann sie bis zu einem gewissen Grad sogar verstehen. Kann verstehen, dass und warum sich China und der Iran auf russische Seite schlagen, warum sich der syrische Präsident hinter Putin stellt. Ich kann sie verstehen.

Aber es gibt Worte und es gibt Taten, und Taten lügen nicht. Von rhetorischer Seite her finde ich es auf beängstigende Weise faszinierend, wie schlau und erfolgreich auf beiden Seiten Narrative aufgebaut werden. Es macht mich fassungslos, wenn ausgerechnet ein Diktator von Entnazifizierung spricht und genau das veranlasst, was im vorigen Jahrhundert schon einmal geschah: einen unter einem fadenscheinigen Vorwand geführten Angriffskrieg.

Ohnmacht ist so scheußlich

Selbst wenn man unbedingt Putins Rhetorik folgen und die Separatistengebiete in der Ukraine »befreit« sehen will, selbst wenn man der russischstämmigen Bevölkerung in der Ukraine ein eigenes Staatsgebiet zugestehen will, so kann man dennoch nicht an den Fakten vorbeisehen. Dieses Ziel wäre doch bereits erreicht. Der von einer Großmacht angezettelte Krieg zielt offenkundig auf die Eroberung des gesamten Staates und auf die Ausweitung der eigenen Einflusssphäre ab.

Der Westen verurteilt den Einmarsch in die Ukraine aufs Schärfste. Das ist die Floskel, die ich gestern wohl am öftesten gelesen habe. Und gleichzeitig kommt sie mir so hilf- und zahnlos vor. Nein, wir dürfen nicht wegschauen, wenn offenkundiges Unrecht passiert, doch können wir wirklich etwas daran ändern? Wollen wir es? Zum Glück sind die NATO-Generäle derzeit besonnen genug, nicht in die Ukraine einzufallen. Und ja, auch ich bin in Sorge, dass ein Einmarsch der Russen in ein NATO-Land den dritten Weltkrieg auslösen könnte.

Mir macht das Heldenbild mancher Staatschefs Angst

Prompt hört man aber auch Erdogans Stimme, dem das westliche Vorgehen nicht entschlossen genug ist. Ich will mir gar nicht erst vorstellen, wie Trump, wäre er noch im Amt, mit dem Atomcode gespielt hätte. Und dann eben Putin selbst, der sich gewiss nicht als Verbrecher, sondern als Helden sieht.

Sind das die Helden von heute? Nein, nein und abermals nein! Das ist nicht mutig, das ist auch nicht stark, das ist schlicht und einfach menschen- und lebensverachtend. Wir dürfen unsere Zukunft nicht hartgesottenen Männern überlassen, die sich gegenseitig ihre Stärke beweisen müssen, ohne Rücksicht auf Verluste, die sie ohnehin nicht selbst tragen.

Machogehabe ist kein Heldentum

Helden, das sind nicht die Soldaten, die in der Schlacht fallen, auch wenn uns die Propaganda so etwas einreden will. Helden sind schon gar nicht die in ihren sicheren Bunkern sitzenden Zündler, die andere für ihre Großmannfantasien in den Tod schicken und dafür als Sieger oder Verlierer in die Geschichte eingehen. Heldentum, das ist etwas völlig anderes.

Helden treten für eine Sache ein, die größer ist als sie selbst. Nicht weil sie sich persönlich etwas davon versprechen, sondern weil sie an ihre Mission glauben. Helden sind keine Profiteure, Helden sind bereit, sich selbst zu opfern.

Was aber ist diese größere Sache?

Ist es unsere westliche Lebensart, unser Verständnis von Demokratie? Es ist schon entlarvend, wie eifrig der Versuch gestartet wird, mittels Sanktionen die Wirtschaft des Aggressors zu untergraben. Das setzt nämlich bei dem dieselbe Religion voraus wie bei uns, den Glauben an Geld, Kapitalismus und Konsum. Ist es wirklich diese Kultur, die wir verteidigen müssen und wollen?

Für mich bedeutet die westliche Kultur so viel mehr. Ich will den Glauben an das Individuum nicht opfern. Warum konnten denn unsere Könige und Anführer noch bis ins vorige Jahrhundert hinein verheerende Kriege führen? Weil ihnen das Individuum nichts gilt. Warum wird in asiatischen Diktaturen so locker über das Wohl von Millionen von Menschen drübergebügelt? Weil dort das Individuum nichts gilt. Warum können starke Männer im nahen und mittleren Osten die Säbel rasseln lassen? Weil auch in diesen Kulturen das Individuum hinter ganz anderen Werten zurückstehen muss.

Das Menschenbild der Zukunft

Um nichts Geringeres geht es in diesen Zeiten. Was für ein Bild habe ich, welches Bild hast du vom Menschsein? Was macht für dich das Menschsein aus, was ist für dich nicht verhandelbar? Das sollten wir für uns schleunigst klären. Dem Angriff einer Großmacht, egal wie sie heißen mag, können wir beide nichts entgegensetzen. Aber wir selbst können bestimmen, welche Haltung wir einnehmen. Und wir können wählen, ob wir uns von unserer Angst lähmen lassen, oder ob wir ganz bei uns selbst bleiben, bei dem, was uns ausmacht. Denn dann wissen wir auch in der Krise, was wir zu tun haben.

Es geht nicht um den Kampf an der Waffe, es geht um unsere innere Freiheit. Darum, was wir uns selbst, unseren Nachbarn, Kindern und Enkeln vermitteln und welche Zukunft wir bauen wollen. Die Paradigmen wechseln gerade, ich kann mir noch nicht vorstellen, wie die neue Zeit aussehen wird. Wir leben in einem dieser historischen Momente des Rüttelns und Wandelns und wir werden nicht alles aus der gewohnten Welt in die neue mitnehmen können. Das ist nämlich das, was jetzt gerade passiert: Die Machthaber und Profiteure der alten Strukturen bäumen sich gewaltig auf, weil sie – verständlicherweise – nicht loslassen möchten.

Heldentum, dazu sind wir jetzt alle aufgerufen

Krieg oder Frieden, Freiheit oder Diktatur, das sind Rahmenbedingungen, aber das sind nicht wir selbst. Wir haben das Privileg, in freien Ländern und in Friedenszeiten aufgewachsen zu sein, mit der Möglichkeit, uns zu entwickeln und unsere Meinung zu formen und gefahrlos zu artikulieren. Wir hatten die Chance, eigenständiges Denken und Handeln zu lernen, und diese Erfahrung können wir weitergeben. Diese Haltung, die so ein großes Geschenk und so wichtig ist.

Wir haben immer eine Wahl. Wenn uns die Krise trifft, werden wir wissen, was und wie wir es zu tun haben. Mag sein, dass wir untergehen, aber unsere Haltung können wir uns bewahren. Sie ist das Samenkorn, aus dem ein mächtiger Baum wachsen kann. Sie ist die Sache, die größer ist, als wir selbst. Der Mensch als Individuum, als eigenständiges und eigenverantwortliches Wesen, das ist für mich nicht verhandelbar.

Das ist es, wofür ich antrete und was ich mir auf keinen Fall nehmen lasse. Dich und mich mit unseren Sorgen, Träumen und Wünschen ernstzunehmen und uns unser Menschsein zu bewahren. Nicht die Realität zu leugnen, sondern im Rahmen unserer Möglichkeiten die Welt lebenswert zu gestalten. In die Kraft in uns selbst zu vertrauen.