Happy End oder andere Schlüsse?

Muss es immer ein Happy End sein?

Ich sitze im Kino und fiebere, dass die Verschwörung der moralisch verkommenen Gegner aufgedeckt wird. Ich sehe einen Dokuspielfilm und wünsche mir innig, dass Giovanni Giustiniani-Longo den Fall Konstantinopels verhindern kann, obwohl ich die historischen Fakten längst kenne. Ich hänge vor dem Fernseher und ziehe mir eine Folge nach der anderen von meinen Lieblingsserien rein, weil ich will, dass der Held die Intrige endlich durchschaut. Ich verschlinge Seite um Seite in meinem Buch und bange, dass der Anschlag rechtzeitig vereitelt und der Schurke zur Strecke gebracht wird. Ja, man könnte sagen, ich stehe auf Happy Ends. Aber was passiert, wenn ich es gefeiert habe?

Happy End – und was dann?

Happy Ends erzeugen ein wundervoll sattes Gefühl im Magen. Sie sind wie eine Streicheleinheit, in die ich mich schmiege, sie machen mein Herz weit, lassen mich tief ein- und mit einem wohligen Seufzer ausatmen und zufrieden das Buch zuklappen. Beschwingt vom Kino zur U-Bahn gehen. Wenn ich Glück habe, hält das schöne Gefühl bis zum nächsten Tag an. Und dann – ist es weg.

Das ist nämlich das Problem mit Happy Ends. Sie sind toll für den Augenblick, aber sie hallen nicht nach. Die wirklich guten Enden, egal ob im Film oder im Buch, können jedoch viel, viel mehr. Sie versetzen meine Gefühle in Aufruhr, sie wühlen mich auf und lassen mich erschüttert zurück. Tagelang. Wochenlang. Manchmal sogar jahrzehntelang. Ich kann sie zu jeder beliebigen Zeit abrufen, und sie überwältigen mich jedes Mal aufs Neue. Oft kann ich sie schon auswendig, und sie büßen nichts von ihrer Kraft ein. Genau wegen dieses Gefühlsaufruhrs lese oder schaue ich sie mir ja immer wieder an.

Nein, bitte kein Sad End!

Wenn ich das so schreibe, wird mir und wahrscheinlich auch dir klar: Noch viel mehr als auf Happy Ends stehe ich auf … Nein, nicht auf Sad Ends. Die gewöhnlichen Sad Ends ziehen mich mit ihrer Tristesse runter, und mit Trübsal und sogenanntem Sozialrealismus kann man mich jagen. Ich sehe keinen Gewinn darin, in meiner Freizeit den Niedergang unserer Gesellschaft zu beschwören und im Sumpf zu ersticken. Ich mag auch keine offenen Enden, bei denen sich der Autor aus der Affäre zieht und mich mit meinen Gefühlen im Regen stehen lässt.

Das beste aller Enden

Was mich hingegen immer wieder zutiefst beeindruckt, sind tragische Enden. Nur auf den ersten Blick sind sie schlecht, denn bei genauerem Hinsehen liegt in ihnen ein bewunderungswürdiger Sieg. Ich stehe unglaublich auf den Heldentod, wenn der Held sich aufopfert und im Tod seine Mission erfüllt oder einen Menschen rettet. Ganz tolle Motive sind für mich auch Selbstüberwindung oder Verzicht aus einer tiefen, inneren Überzeugung und Einsicht heraus. Vordergründig scheitert der Held, aber in Wahrheit wächst er im Scheitern über sich selbst hinaus und schreibt sich in meine Erinnerung ein. Voraussetzung dafür ist die große Szene, und auf die hat ein Held auch Anspruch, wenn er sich selbst opfert.

Ein sehr guter Kompromiss

Fast genauso gut finde ich ironische Enden. Manche Genres verlangen ein Happy End. In einer Liebesgeschichte hofft man lediglich, dass das Paar sich findet, in einer Romance ist es den Konventionen nach Pflicht. In einem Thriller müssen die Welt im Kleinen oder Großen gerettet und der Schurke bestraft werden, um die Spannung zu lösen. Die meisten Leser setzen das Ob voraus und ziehen den Genuss aus dem Weg dorthin, aus den Fallen und den Krisen, die diesen Weg pflastern. Das ironische Ende erfüllt ihnen den Wunsch nach einem glücklichen Ende, doch es ist vielschichtiger. Denn um an diesen Punkt zu gelangen, muss der Held einen Preis zahlen. Er muss etwas lernen und opfern, um zu siegen.

Die besten Enden sind ambivalent

Genau solche Enden liebe ich. Je nach Stimmung des Romans tragisch oder ironisch, auf jeden Fall komplex. Enden, die mich ins Denken und Fühlen bringen, die mich erschüttern. Die besten Enden sind die, die ich unter Tränen schreibe, weil mich die Emotionen mitreißen. Gut oder schlecht ist Nebensache, aber ich will, dass die Geschichte nachwirkt. Dass sie mich noch wochenlang in meinem Alltag begleitet. Und im Idealfall auch meine Leser.

Ich liebe die Enden in all meinen Büchern, aber das zu diesem hier musste ich blind tippen, weil mich die Gefühle so übermannten. Soll ich dir verraten, welches es ist?