
Love my villains – Ein Fazit
Heute ist auf Facebook die Challenge „Love my villain“ zu Ende gegangen. Einen Monat lang beantworteten unsere Gegenspieler pro Tag eine Frage. Ich liebe solche Challenges, weil sie Facetten von Figuren offenbaren, die man am Reißbrett gar nicht in dieser Tiefe planen kann. Und ich verfolge auch die Antworten anderer Autoren, denn meine Schreibcoaching-Gruppe nimmt an diesen Challenges gemeinsam teil.
Sind die Villains wirklich Villains?
Wieder einmal beobachtete ich ein sehr spannendes Phänomen: Manche Gegenspieler schließt man einfach ins Herz, wenn der Protagonist (oder die Protagonistin) einmal Funkstille hat. Sicher, es tummelten sich auch genügend Klischeebösewichte herum. Doch so ein richtig komplex aufgebauter Antagonist hat schon etwas. Man kann ihn und seine Motive nachvollziehen, und ist es nicht auch in der Realität so? Hat nicht jede Medaille zwei Seiten?
Charakter oder Klischee?
Ja, auch ich habe so richtige Superschurken (Leone und Sondheim) oder Klischeeschurken (Rodchenko). Die sind schon mal in Ordnung, wenn die Story auch noch andere Konflikte, vor allem innere, bereithält. Aber meine Lieblingsschurken spielen in einer anderen Liga. Vorneweg Scarlatti, bei dem man zwar weiß, dass er einen Mitbruder loswerden will, der aber ein ganz eigentümliches Verhältnis zum Helden, dem Marchese, pflegt und mit dem Orden ganz eigene Pläne verfolgt. Bei Ressau, den manche hassen werden, sehe ich vor allem die inneren Kämpfe, die ihn zu seiner Tat treiben. Und das Wundervolle: Raphael hat auch dieses Potenzial.
Vom Feindbild zum Leserliebling
In der Challenge liebte ich immer die Leserkommentare. Ich schickte Raphael ins Rennen, den Antagonisten aus meinem Work in Progress, dem Engel-Roman. Am Anfang zog er sich erwartungsgemäß die Feindschaften zu, doch irgendwann mittendrin drehte es sich auf einmal. Ich konnte es kaum fassen, die Leser hatten Verständnis für ihn, manche entwickelten regelrecht Zuneigung für ihn! Und das ist einfach fantastisch, zumal ich es gar nicht darauf angelegt hatte!
Willenskraft vor Gutmenschentum
Zumindest ich war von den willensstarken Schurken der Kolleginnen mit ihren nachvollziehbaren Motivationen mehr als angetan. Ich mochte noch nie die die ach so lieben und sanften Figuren, die einfach nur arm, unbedarft oder tollpatschig sein müssen, um die Sympathien zu erhalten. Mein Leserherz konnten solche Charaktere selten gewinnen. Haben bei mir Antagonisten immer die Nase vorne und gute Charaktere keine Chance? Mitnichten. Ich liebe Helden immer noch.
Was ich daraus für meine Helden lerne
Ich will kraftvolle, vibrierende Figuren. Keine Mamsells in distress, keine naiven Underdogs oder immer nur Gute, sondern gestandene Helden und Heldinnen. Je mehr Sympathien auch der Gegenspieler auf sich zu vereinen vermag, desto charismatischer muss der Held werden, wenn er seine ihm zugedachte Rolle erfüllen will, und das ist ja nicht unbedingt schlecht, oder? Ein interessanter Schurke verlangt automatisch einen facettenreichen und außergewöhnlich konzipierten Helden.
Meine Lieblingsfacette: Ambivalenz
Wir sind als Leser durchaus bereit, auch unerwartete Handlungen mitzutragen, wenn das Motiv des Charakters uns überzeugt. Natürlich verteilen wir unsere Sympathien, aber der Gewinner ist dabei nicht zwangsläufig der, den der Autor zum Protagonisten erklärt, sondern der, dessen Ziele, Gefühle und Handlungsweisen uns überzeugen. Ich werde weiterhin bei meinen ambivalenten Helden bleiben, weil die einfach viel realistischer und auch prickelnder sind als die ethisch immer Korrekten. Und ich werde weiterhin auch den ein oder anderen Schurken lieben.
Freut euch also auf den dritten Marchese-Band, in dem Scarlatti wieder eifrig mitmischen wird. Und freut euch auf den Engel, in dem Raphael Tristan nun auf mehreren Ebenen fordert. Ich spitze schon mal die Feder, denn so macht Schreiben richtig Spaß.