
Ein Buch, mit dem alles begann
Ein Buch, nur eines? Es gibt unzählige Bücher, mit denen für mich alles begann, nur eben jedes Mal etwas anderes. Und irgendwie hängen doch alle zusammen.
Mein erstes Vorlesebuch
Wir hatten Grimms Märchen in mehreren Ausgaben. Die meiner Großmutter bestand aus zwei Bänden, und den Einband sehe ich noch heute vor mir. In bunten, aber gedeckten Farben, wir schrieben immerhin die späteren 60er-Jahre und wer weiß, wie alt die Bücher schon damals waren. Die Geschichten darin waren noch wesentlich älter, und eine davon hatte es mir besonders angetan. Schneewittchen.
Damals stellte ich natürlich noch keine klugen Überlegungen an, aber ganz egal, ob Mutti mir Schneewittchen vorlas oder Omi, ich kippte voll hinein. Da waren einmal die Farben, schwarz, weiß, rot. Ich liebte Schneewittchens Beschreibung, und heute tauchen die Farben in den meisten meiner Geschichten auf. Meistens in Form von rotem Blut auf einem weißen Hemd, und dass ich ein Faible für schwarze Haare habe, ist längst kein Geheimnis mehr. Aber es kann auch weniger blutrünstig zugehen, so finden sich die Farben auch in Merahwis Büro und den Kunstfotografien wieder.
Schneewittchen war aber auch meine erste Heldengeschichte. Sicher, da sind die bekannten Formeln wie „Spieglein, Spieglein an der Wand“ oder „Wer hat aus meinem Becherchen getrunken?“ Das Hausfrauenidyll nahm ich halt so nebenbei mit, aber richtig spannend waren die drei Attentatsversuche. Ich liebte eben damals schon Geschichten, in denen etwas auf dem Spiel steht.
Große Emotionen – mein erstes Lieblingsbuch
Ich lernte schon mit fünf lesen, vor der Schule. Mein absoluter Favorit war Der kleine Biber* von Käthe Recheis, den konnte ich fast auswendig. Ein kleiner Biber verliert bei einem Hochwasser seine Eltern und wird von Indianerkindern aufgenommen, mit denen er etliche Abenteuer erlebt.
Jedes Mal weinte ich bittere Tränen beim Verlust der Biber-Eltern, und noch heute adeln Tränen für mich ein Buch. Wenn ich wirklich erschüttert bin und die Buchstaben vor meinen Augen verschwimmen, hat der Autor seine Aufgabe erfüllt, denn nichts finde ich wichtiger an Geschichten als tiefe Emotionen. Oberflächliches Dahingeplätschere war niemals meins.
Ich will in ein Buch eintauchen und hängen bleiben, und das will ich auch dir ermöglichen. Nicht zwangsläufig mit Tragödien, aber mit großen, intensiven Gefühlen. Diese Tränen sind mir weit mehr in Erinnerung geblieben als die einzelnen Abenteuer, ich fühle sogar heute noch den Schock, den ich damals hatte.
Noch einmal Tränen
Richtig geprägt hat mich meine Karl-May-Lektüre, speziell die Winnetou-Romane. Mein Lieblingsband war Winnetou III, konkret die zweite Erzählung bis zu Winnetous Tod. Ich vergieße immer noch Tränen an dieser Stelle, obwohl ich sie an die fünfzigmal gelesen habe, wenn nicht noch öfter. Für mich ist das eine der wirkmächtigsten Stellen der deutschsprachigen Literatur.
Ich mochte alle Winnetou-Bücher. Obwohl mir meine Mutter sehr viel und sehr guten Lesestoff anbot, brachte ich sie zur Verzweiflung, denn einige Jahre las ich nichts anderes als Karl May. Hier entwickelte ich meine Vorliebe für Helden und edle Krieger. Nicht zu vergessen für schöne Männer. Winnetous Beschreibung hat es mir bis heute angetan, und auch in ihr findet sich wieder meine Lieblingsfarbkombination.
Winnetou ist der Prototyp für den Marchese. Die langen, schwarzen Haare, die Art zu kämpfen und seine Körperbeherrschung, sein Edelmut und sein unermüdlicher Einsatz. Sein fantastisches Aussehen, sein Heldentum, … Jetzt höre ich lieber auf zu schwärmen, sonst wird der Beitrag endlos lang. Die schwarzen Augen hat übrigens Merahwi von ihm geerbt.
Mit Schiller kamen die Charaktere und der Abschied von Klischees
Mit den Heldengeschichten ging es auch prompt weiter, als ich nämlich in der Schule Schillers Bürgschaft kennenlernte. Von da an verschlang ich jeden Schiller-Text, und abgesehen von seiner gewaltigen Sprache formten mich sein Freiheits- und Freundschaftsideal und das der Selbstbestimmung. Und natürlich die Figuren! Die sind nämlich unglaublich vielschichtig und psychologisch perfekt ausgearbeitet.
Mein Lieblingsheld ist Marquis Posa aus Don Karlos, der ist herrlich ambivalent. Er kämpft für die gute Sache und greift dabei zu ziemlich zwielichtigen Mitteln, instrumentalisiert sogar seinen Freund. Man weiß nie, ob man ihn lieben oder verurteilen soll, bis zu seinem Ende. Dann wird alles klar.
Hat der Marchese von Winnetou sein Aussehen und seine Körperlichkeit, so hat er von Posa seine Intelligenz, seinen Charakter und seine Raffinesse. Und natürlich seine Ehre und seine hohen Ideale.
Meine erste belletristische Veröffentlichung
Es ist nur konsequent, dass ich bei den Helden landete. Mein erster kompletter Roman liegt noch in meiner Schublade, es ist ein Wirtschaftsthriller mit einem charismatischen Anwalt. Irgendwann werde ich ihn überarbeiten und veröffentlichungsreif machen, doch der Titel „mit dem alles begann“ gebührt einem anderen Buch.
Ich war zu der Zeit als Literaturwissenschaftlerin tätig und Vortragende auf internationalen Kongressen. Neben Schiller war Karl May mein zweites Forschungsgebiet und ich veröffentlichte in wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Medien. So wurde ein Fanfiction-Verlag auf mich aufmerksam und fragte mich, ob ich eine Geschichte zu einer Anthologie beisteuern würde. Ich brauchte eine Viertelstunde, um zuzusagen. In der ersten Minute wusste ich, dass ich es machen will, in den restlichen vierzehn beruhigte ich mich, dass ich damit nicht meinen wissenschaftlichen Ruf ruiniere.
Und so entstand Verräter, meine erste veröffentlichte Geschichte. Ich wollte dabei die Sprache und Erzählweise von Karl May nachahmen, rechnete mit ihm aber auch ab. Seine Figuren sind mir zu eindimensional, zu platt, und ich stattete Winnetou mit einem komplexeren Charakter und inneren Konflikten aus. Den großkotzigen Old Shatterhand konnte ich noch nie leiden, also thematisierte ich gerade seine problematischen Eigenschaften, ohne die große Freundschaft zu ruinieren.
Nach und nach entwickelte sich daraus mein eigenes Schreiben. Helden mit einem Hauch Exotik, mit einem Ehrenkodex und hohen Idealen. Schurken, die echte Motive haben. In meiner zweiten Winnetou-Geschichte mochte ich den Gegenspieler sogar lieber als Winnetou, den Held meiner Jugend. Bis mit Das Gift der Schlange der Marchese das Licht der Welt erblickte. Ich bin mir nicht sicher, ob ihn jemals eine Figur von seinem Spitzenplatz in meinem persönlichen Ranking vertreiben kann. – Obwohl ich einige Stoffe in der Tradition Schneewittchens, des Kleinen Bibers, Winnetous und Marquis Posas in petto habe. 🙂
Mit Winnetou-Fanfiction stieg ich ins belletristische Schreiben ein.